Dipl. Arch. Oliver Schübbe, OS2 Designgroup, Herford
Vom Material zum Produkt
Am Anfang steht das Material, Berge von Sperrmüll, div. Möbelschrott, Elektromüll, Bücher und Textilien jeglicher Art. Jeder Wertstoffhof in Deutschland ist voll davon und wächst immer schneller bei stetig wachsendem Konsum. Die Sammelstellen haben große Probleme, der Schwemme überhaupt Herr zu werden. Es bedarf großer logistischer Planung, entwertete Warenmengen material- und funktionsgerecht zu trennen und möglichst wieder in ihre Warenkreisläufe zurückzuführen.
Trotz eines stetig an Beliebtheit gewinnenden Secondhand Marktes und diverser Tauschbörsen wie bleibt da noch der große Rest, den in unserer westlichen Welt keiner mehr so richtig zu gebrauchen scheint. Denn wer lässt heutzutage noch seinen Fernseher reparieren oder kauft sich mit einer neuen Matratze nicht auch gleich einen neuen Lattenrost und wie viele Möbel werden bei einem Umzug sowieso neu gekauft statt umfunktioniert oder angepasst?
Auch wenn der Bedarf z. B. bei der Spanplattenherstellung an Altholz groß ist, so landet doch der größte Anteil einer Restholzmulde als thermische Verwertung in der Müllverbrennungsanlage und lässt neue, giftigste Stoffverbindungen bei der Verbrennung der Platten entstehen. Gerade bei diesen Holzplattenwerkstoffen ist die Methode in der Abfallentsorgung „aus den Augen, aus dem Sinn“ noch die gängigste. Und bei Produkten, die größtenteils aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen, hat man ja auch nicht das schlechteste Gewissen in puncto Umweltaspekten. Jedoch sollte man die Millionen Tonnen an Sperrmüll, die jedes Jahr anfallen, nicht vergessen und gerade die Transportwege, die damit verbunden sind, sprechen für keine gute Ökobilanz der Produkte.
Die Sammlungen auf Wertstoffhöfen bieten während der Sortierung somit eine gute Möglichkeit, sich an dieser Stelle des Warenflusses einzuklinken und diese Mengen einmal unter Gesichtspunkten des Recyclingdesigns und der Wiederverwertbarkeit als mögliche Rohstoffe zu untersuchen. Leider bleibt der Zugriff auf diese Märkte und Warenströme jedoch bislang noch vielen Gestaltern verwehrt, denn es ist sehr schwierig, bei diesen Sammelstellen der Wertstoffhöfe und Umweltbetriebe als kreativer Zweitverwerter freien Zugang zu bekommen.
Warenströme — Was können Designer damit machen?
Auch wenn ein Recyclinghof für viele Menschen als eine große Inspirationsquelle für neue gestalterische Ideen gilt, geht es beim Recyclingdesign der letzten Jahre oft weg vom künstlerischen Ansatz eines Einzelstück, wie man es auf verschiedensten Documenta-Ausstellungen der 80er- und 90er-Jahre gesehen hat, wobei mehr die zeitgeschichtliche Herkunft oder die Patina der Produkte plakativ im Vordergrund stand.
Bei den heutigen Müllmengen sind es dann doch eher die Gesichtspunkte einer möglichen seriellen Herstellung eines Produkts mittels recycelter Materialien, die zu einem Lösungsansatz für neu gestaltete Produkte führen können. Andererseits hilft auch schon mal das Auseinanderbauen und sortenreines Trennen von Materialien, um zu einer neuen Produktidee zu kommen.
Denn die Analyse der Materialeigenschaften entwerteter Produkte spielt eine große Rolle in der Wiederverwendung um ein sinnvolles Upcycling zu ermöglichen und die Produktentwicklung bis zur Serienreife zu gewährleisten. Daher bekommt bei der Gestaltung von neuen Produkten mittels Altmaterialien die Materialbeschaffung einen immer höheren Stellenwert und spielt bei der Ideenfindung teils auch unterbewusst eine große Rolle.
Oftmals sieht man vielen Entwürfen an, ob und wie stark die Ideenfindung durch die Materialbeschaffung und Recherche beeinflusst wurde. Neben einer Möglichkeit der Zerlegung von Altprodukten in seine kleinsten Bestandteile und diese als Rohstoffe zur Herstellung neuer Produkte zu nutzen, ist es vielfach auch eine bestimmte Fehlerästhetik, die zu einer emotionalen Bindung in der Betrachtung eines Recyclingprodukts führen kann.
Einen anderen Mehrwert eines gestalteten Produkts aus Recyclingmaterialien oder Reststoffen kann die Kommunikation über das Vorleben des Urspungsprodukts sein, wie z. B. „…ich war einmal.“ Dabei spielt die Abkehr von anonymer Massenware, wie wir sie auf Hochglanzprospekten in unserem Briefkasten vorfinden, eine große Rolle. Durch die Vorgeschichte eines Recyclingprodukts entsteht die Identifikation des Besitzers mit seinem neu erworbenen Eigentum. Diese kann so zu einer Verlängerung der Lebenszeit des Konsumgutes führen.
Absolut wünschenswert hierbei wäre natürlich die Erhaltung der Werte eines Produkts, bis hin zum Tauschen, Verkaufen ohne Wertverlust oder sogar Vererbung. Ein anderer Motivationsfaktor für die Wiederverwerter ist neben einem ästhetischen Statement die viel bessere Ökobilanz mit einer realen CO 2-Einsparung. Denn gerade in angedachter serieller Produktion die vorhandenen Müllmengen anzugehen, zu reduzieren und weiterzuverarbeiten, ohne den Weg der vermeintlichen Endlösung als thermische Verwertung in den Verbrennungsanlagen einzuschlagen, macht viel Sinn.
Bei genauer statistischer Erfassung verschiedener Müllmengen und guter Vernetzung zwischen den Abfallhöfen und den Hochschulen, mit ihrem gewaltigen kreativen Potenzial an jungen Gestaltern, ist eine Produktion an verschiedenen deutschen Standorten, da Restmüll in Deutschland überall in Masse und Qualität durchaus vergleichbar anfällt und getrennt wird, eine realisierbare Vision möglicher Produktion von Dingen. Somit ist beim Recyclingdesign der Überblick, den ein Gestalter beim Entwerfen eines neuen Produkts bekommt, angefangen von der Materialbeschaffung, dem Blick auf die Materialeigenschaften, der Verarbeitung und der Benutzung, bis hin zu ökologischen Gesichtspunkten, ein viel größerer.